פורים

the other war posterNicola Galliner versteht die Welt nicht mehr. „Ich komme mir vor, als würde ich den Leuten die Pest anbieten.“ Auf ihrem Schreibtisch liegt ein „Vorgang“, der alle Züge eines absurden Theaterstücks trägt. Anträge, Briefe, Bescheide, Widerspruchsbescheide, Kalkulationen, rechtliche Belehrungen, Hinweise und Tabellen. Da hat die Festivalleiterin Galliner ein dickes Ausrufzeichen hingemalt, dort ein Fragezeichen. Namen hängen in der Luft wie Seifenblasen: Wowereit, Schmitz, Ströver, Lotto, Hauptstadtkulturfonds. Worum geht es? Um das 16. Jewish Film Festival Berlin, das Ende April starten soll. Oder auch nicht.

„Schauen Sie sich das mal an“, sagt Galliner und zieht aus dem Stapel den Text einer Rede heraus, die der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz am 3. Mai letzten Jahres zu Eröffnung des 15. Jewish Film Festivals gehalten hat. Er begann seine Ansprache mit dem Satz: „Das jüdische Filmfest zählt zu den wenigen ‚Perlen‘, die die Filmstadt Berlin jährlich vorzeigen kann und gerne vorzeigt.“ Die Zahl 15, fuhr Schmitz fort, sei „eine besondere Zahl“. In der katholischen Tradition Mittelamerikas bedeute sie bei Mädchen den „Übergang zum Erwachsenwerden“ und ins „heiratsfähige Alter“ – die Volljährigkeit. „Erlauben Sie mir, dieses Gleichnis aufzunehmen und – ganz unabhängig von konfessionellen Aspekten – dem Jüdischen Filmfest heute zur Volljährigkeit zu gratulieren.“

Am Ende seiner Rede zog Schmitz eine Bilanz des Festivals: „So wurden bisher insgesamt 278 Filme aus 26 Ländern gezeigt. 210 Gäste (Autoren, Produzenten, Regisseure, Schauspieler) kamen aus 18 Ländern, für viele von ihnen war es der erste Deutschlandbesuch überhaupt. Nahezu 30.000 Besucher in den vierzehn Jahren zog das Programm an. Ich wünsche uns allen, dass diese Zahl in diesem Jahr weiter erheblich zunimmt.“

Galliner liest die Rede wie den vergilbten Liebesbrief eines Verehrers, der es sich inzwischen anders überlegt hat. Schmitz, der das Kulturressort für den Regierenden Bürgermeister Wowereit managt, der seinerseits auch für Kultur zuständig ist, hat, so scheint es, das Interesse an der „Perle“ des Berliner Kulturlebens verloren; auf Briefe, die Galliner ihm geschrieben hat, reagierte er mit der Empfehlung, nach Kooperationspartnern Ausschau zu halten und den Mut nicht zu verlieren. „Ich verstehe das nicht, ich bekomme keine klare Auskunft, was passiert ist.“

Dabei ist die Situation recht übersichtlich. Das Jüdische Film Festival 2009 hat etwa 200.000 Euro gekostet. 135.000 gab der Hauptstadtkulturfonds (HKF), 35.000 steuerte die Jüdische Gemeinde bei. In diesem Jahr sollte das Fest rund 230.000 Euro kosten. Ein Antrag auf Förderung durch den HKF wurde mit der Begründung abgelehnt, der Fonds sei nicht dazu da, einzelne Projekte dauerhaft zu finanzieren. Das sei Aufgabe des Kultursenators.

Worauf Alice Ströver, die Vorsitzende des Kulturausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, die Idee hatte, das Projekt Jüdisches Film Festival im Haushaltsplan von Berlin dauerhaft zu verankern. „Wir wollten eine institutionelle Förderung, einen eigenen Titel im Budget des Kultursenators.“ Das hätte allen Beteiligten die nötige „Planungssicherheit“ gegeben und das Festival vor den Zufällen der Vergabepraxis bewahrt.

Womit die grüne Kulturpolitikerin Ströver nicht gerechnet hatte, war Widerstand aus den Reihen der regierenden Koalition. Ihr Antrag wurde mit Stimmen der rot-roten Mehrheit abgelehnt. Eine nachvollziehbare Begründung gab es nicht, hinter den Kulissen war von 20 Filmfestivals in Berlin die Rede, „da könnte ja jeder kommen und was haben wollen“, erinnert sich Ströver.

Worauf Alice Ströver ihren Antrag im Hauptausschuss noch einmal stellte, der in Haushaltsfragen das letzte Wort hat. „Anfangs sah es gut aus, vor allem aus der SPD kamen positive Signale“, am Ende aber stand das Jüdische Film Fest „nicht mehr auf der Liste“. Warum? „Keine Ahnung, ich kann wirklich nicht sagen, welche Kräfte da eingewirkt haben.“

Ein parallel laufender Antrag bei der Lotto-Stiftung der Deutschen Klassenlotterie Berlin endete dagegen mit einem „Zuwendungsbescheid“ über immerhin 55.000 Euro. Allerdings geknüpft an Bedingungen, die Galliner „beleidigend“ nennt. So wurde ihr unter anderem zur Auflage gemacht, ohne Vergütung zu arbeiten und die Gehälter ihrer zwei Mitarbeiter um 30 Prozent zu kürzen. Die für „Dienstreisen vorgesehenen Tagegelder“ sollten gekürzt werden, „um 6,00 Euro je Tag (insgesamt 66,00 Euro)“, auch der übliche Eröffnungsempfang sollte entfallen. Wer Kafka liebt und wissen möchte, wie Kulturbürokraten ticken, dem wird dieser „Zuwendungsbescheid“ eine Quelle der Erkenntnis sein.

Eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE beim Kultur-Staatssekretär, wie es mit dem Jüdischen Film Festival weiter gehen soll, wurde von dessen Pressesprecher dahingehend beantwortet, „Herr Schmitz“ sei „z.Z. nicht zu fassen“; außerdem seien Film und Förderung „nicht das Brot der Kulturverwaltung, sondern direkt in der Senatskanzlei angesiedelt“.

Die Chefin der Senatskanzlei, Barbara Kisseler, fühlt sich zwar zuständig – aber nicht verantwortlich. Dennoch habe sie angeboten, bei der Suche nach „privaten Sponsoren“ zu helfen, noch besser wäre es aber, wenn der Bund die Finanzierung des Jüdischen Film Festivals übernehmen würde. Darüber wolle sie demnächst mit dem Staatsminister des Bundes für Kultur und Medien sprechen, der sei „sehr filmaffin“.

Das ist auch der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. In seinem Grußwort zum Festival 2009 hatte der Bürgermeister geschrieben: „Das Jewish Film Festival Berlin hat sich nicht nur in den Terminkalendern der Cineasten einen festen Platz erobert, es ist inzwischen eines der renommierten Festivals in der Filmstadt Berlin.“

Sollte er in diesem Jahr statt eines Grußwortes einen Nachruf schreiben, müsste er nur ein Wort zufügen: „gewesen“.

/ Von Henryk M. Broder


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